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Der Frauenfußball kann eine Vorreiterrolle übernehmen

Theresa Merk ist in dieser Saison Cheftrainerin der Frauen von Grasshoppers Zürich (GC). Zuvor war sie Co-Trainerin beim VfL Wolfsburg und gewann mit dem Team ...

Theresa Merk ist in dieser Saison Cheftrainerin der Frauen von Grasshoppers Zürich (GC). Zuvor war sie Co-Trainerin beim VfL Wolfsburg und gewann mit dem Team die Deutsche Meisterschaft, zwei Mal den DFB-Pokal und stand im Finale der UEFA Champions League. Ab der kommenden Saison übernimmt Theresa Merk die Frauen des SC Freiburg als Cheftrainerin in der Bundesliga. Ihre erste Trainerstation bei den Frauen war der TV Derendingen, mit dem sie in die Regionalliga aufstieg. Theresa wird bei der Podiumsdiskussion teinehmen. Im ersten Teil des Interviews erklärt sie, welche Vorreiterrolle der Frauenfußball einnehmen kann.

Was halten Sie von der Aussage, dass der Frauenfußball auf einem schlechten Niveau ist, weil in der Vorbereitung auf Turniere z.B. männliche B-Jugendmannschaften die Nationalmannschaft der Frauen besiegen?

Gewisse Unterschiede sind einfach genetisch vorgegeben. Männer haben mehr Muskelmasse als Frauen, sind daher schneller und kräftiger. Beim 100 Meter Sprint würde auch niemand davon ausgehen, dass eine Shelly-Ann Fraser einen Usain Bolt überholen kann oder eine Regina Halmich im Boxen einen Wladimir Klitschko besiegt. Zum einen ist bei den Jungs nach der Pubertät einfach eine genetisch bedingte körperliche Überlegenheit gegenüber Frauen vorhanden – und zum anderen haben Spieler wie Julian Draxler oder Jamal Musiala mit 17 Jahren gestandene Männer in der Champions League auch schwindlig gespielt. Wenn nicht einmal gestandene männliche Profis auf allerhöchstem Level gegen eigentliche A-/B-Jugendspieler mithalten können – wie sollen das dann Frauenteams können?

Welche Voraussetzungen und Bedingungen braucht der Frauenfußball generell – sowohl im Profi- als auch im Amateurbereich – gerade auch im Vergleich zum Jungs- und Männerfußball?

Das größte Thema und die wichtigste Voraussetzung ist die Sichtbarkeit. Es gibt gewisse „Hypes“ bei Sportarten, wenn Personen bekannt und erfolgreich in ihrer Sportart sind. Das war z.B. im Skispringen um die Jahrtausendwende so. Diesen Hype erreicht man aber immer nur dann, wenn die Sportart anständig sichtbar, d.h. in etablierten Medien, ist. Daher bringt es auch wenig, wenn in Deutschland die Spiele der Frauen-Bundesliga bei Magenta Sport übertragen werden und nicht bei etablierten Streamingportalen wie DAZN oder Sky. In der Schweiz kann man im Ligastream alle Spiele kostenlos schauen - damit hatte England auch angefangen. In Deutschland fehlt das komplett. Das eine Spiel der Frauen-Bundesliga, das Freitag abends auf Eurosport übertragen wird reicht nicht aus  – da fehlen die Zuschauer und der Zugang.

Nur über die Sichtbarkeit kann das Interesse der Gesellschaft, auch von Männern und Jungs, für Frauenfußball gesteigert werden. Die Vorstellung von vielen über den aktuellen Stand im Frauenfußball ist oft völlig veraltet und falsch. Diese fehlende Sichtbarkeit für den Frauenfußball beginnt im Amateurfußball. Das bedeutet, dass der Frauenfußball in der Regionalzeitung nicht mehr im Regionalsport auf der letzten Seite rechts unten abgedruckt wird – sondern es auch mal eine Titelstory gibt. Im Profibereich muss die Bundesliga der Frauen im Kicker dann nicht in der 20. Spalte hinter der U17 Bundesliga der Jungs und der Regionalliga Südwest auftauchen, sondern im Rahmen der 1.-3. Liga.

Es wird gar nicht davon ausgegangen, dass Männer sich für Frauenfußball interessieren. Männer können auch Frauen supporten- als Fans. Da kann auch das Gedankengut des einen oder anderen Mannes vorankommen. Ich brauche mich als Mann nicht dafür zu schämen, dass ich Frauenfußball schaue und Fan bin. Es ist inzwischen selbstverständlich, dass jeder Männer-Bundesligist sein Trikot auch im taillierten Frauenschnitt anbietet. Umgekehrt ist es aber nicht der Fall – Trikots der Frauen gibt es nicht im Männerschnitt.

Wenn die Sichtbarkeit vorhanden ist, können wir über die Infrastruktur sprechen. Über Platzzeiten, die sinnvoll sind – nicht, dass das Training der Frauen um 21:30 Uhr beginnt, nachdem die Männer fertig sind. Es geht auch um die Wertschätzung im eigenen Verein – dass die Frauen dasselbe Recht wie die Herren 2 und Herren 3 haben.

 Welche gesellschaftliche Rolle kann der Frauenfußball aus Ihrer Sicht übernehmen?

Der Frauenfußball kann eine Vorreiterrolle im Aufbrechen von Vorurteilen übernehmen. Es gibt kaum einen Sport, der mit so viel Gegenwehr, Hass und Unverständnis verbunden ist wie der Frauenfußball. Zumindest nehme ich es so wahr. Das Interesse, sich zum Frauenfußball zu äußern, ist relativ groß – selbst wenn sich diese „Kommentatoren“ überhaupt nicht für Frauenfußball interessieren. Die Spielerinnen und die Sportart an sich erleben große Anfeindungen. Warum muss ich mich negativ über eine Sportart auslassen, die mich nicht interessiert?

Der Frauenfußball kann Frauen und Mädchen darin bestärken, dass sie das machen können, was sie wollen. Wenn sie Lust haben, Fußball zu spielen, sollen sie Fußball spielen. Wenn sie Eiskunstlauf machen wollen, sollen sie Eiskunstlauf machen. Wenn sie ins Ballett wollen, sollen sie ins Ballett gehen. Nicht die Gesellschaft schreibt vor, was die Frauen machen sollen - sie machen einfach das, worauf sie Lust haben. Für den modernen Feminismus kann der Frauenfußball eine große Rolle spielen.

Erhält der Breitensport (Fußball) die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung für die gesellschaftliche Rolle, die er übernimmt?

Mir geht es dabei nicht um den Fußball, sondern den Breitensport als solches. Das Vereinswesen lebt davon, dass viele Menschen hingehen, sich engagieren, sich interessieren und sich in einem Ehrenamt für gewisse Zeit zum Dienst an der Gesellschaft verpflichten. Dabei lernen diese Menschen enorm viel. Zuverlässigkeit. Verlässlichkeit. Verantwortung. Ich stelle aber auch fest, dass diese Bereitschaft immer mehr zurückgeht. Jüngere sind nicht mehr bereit, sich in dem Maße zu verpflichten. Viele Breitensportabteilungen haben Mitgliederrückgänge. Mannschaften und ganze Abteilungen müssen abgemeldet werden.

Dabei finde ich es absolut wichtig, dass der Breitensport gefördert wird. Vereine bringen Menschen zusammen. In Vereinen wird Gemeinschaft als solches gelebt. Die Wichtigkeit ist hoch - sie sind die Anlaufstelle für alle, die Gemeinschaft erleben möchten.

Gerade in den großen Herausforderungen unserer Zeit, wie den großen Flüchtlingswellen 2015 oder jetzt im Ukraine-Krieg sind Vereine ein wichtiger Anker zur Integration. Der Sport ist der einfachste Einstieg in eine Gesellschaft. Die Sprache und die Regeln des Fußballs sind universell. Ich brauche nur irgendwo hinzugehen und den Ball sprechen zu lassen. So werden Vorurteile abgebaut und Kontakte ermöglicht. Sport ist eine super einfache Art, Menschen zusammenzubringen und zu integrieren. Er ist eine hervorragende Einstiegshilfe in die Gesellschaft. Aus diesem Grund sollten Vereine und der (Breiten-)Sport die größtmögliche Förderung und Unterstützung erhalten.

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